Das erste Mal, als ich das Wort agil hörte, wurde es im Zusammenhang mit rüstigen älteren Personen verwendet, die sich ohne fremde Hilfe gut fortbewegen konnten. Sie waren also noch in der Lage, sich auf ändernde Umstände einzustellen und entsprechend zu reagieren.
Heute, in 2017, wird, vor allem im unternehmerischen Kontext, agil als Synonym für eine spezielle Arbeitsweise verwendet. Von dieser erhofft man sich ein rascheres Vorankommen in Projekten und ein Ergebnis das den ursprünglichen Erwartungen entspricht. Warum sieht das in der Realität oft anders aus?
Rascher fertig
Nun, nur weil man die Arbeit in kleine Teile aufteilt und diese in Sprints abarbeitet, bedeutet das nicht früher fertig zu sein. Der Vorteil dieser Sprints ist, dass man früher weiß ob man das gewünschte Ergebnis erzielt hat oder nicht. Wenn nicht, geht es zurück an den Start und man beginnt mit einer weiteren Iteration.
Die ursprüngliche Erwartung
Durch die vielen Iterationen und der damit verbundenen Lernkurve, ist es leicht möglich, dass am Ende zwar das Ziel erreicht wurde, aber die Art und Weise der Umsetzung anders aussieht als ursprünglich antizipiert.
Idealbedingungen vs Realität
In den Sprints werden idealerweise alle relevanten Mitarbeiter zusammengeholt, die einerseits für die Entwicklung wie auch für den nachfolgenden Betrieb & Service zuständig sind. Das bedeutet, dass sie sich in dieser Zeit überwiegend oder sogar ausschließlich diesem Thema widmen. Hier zeigt sich der Konflikt zwischen Projekt- und Tagesgeschäft am deutlichsten.
In klassischen Projekten sind Meetings zumeist in längeren Abständen angesetzt, bei Sprints wird die Zusammenarbeit in kurzer Zeit erledigt. Mit dieser Verschiebung der Arbeitskonzentration muss eine Organisation, insbesondere die Führungskräfte erst umgehen lernen, da ihre Mitarbeiter plötzlich nicht mehr gleich greifbar sind.
Loslassen können
Eine weitere Herausforderung für Führungskräfte liegt darin, dass Teams die in Sprints zusammenarbeiten sehr selbständig agieren. Kontrolle von außen ist kaum vorgesehen und die Kommunikation erfolgt direkt zwischen den Beteiligten und Betroffenen. Ein Großteil der sonst üblichen Power & Control Funktion ist so nicht mehr vorhanden.
Agil sein beginnt im Kopf
Ein bisschen schwanger sein geht nicht. Jede Methode wurde mit bestimmten Beweggründen konzipiert. Deswegen ist es ratsam diese Beweggründe zu kennen, zu entscheiden ob sie in der jeweiligen Situation angebracht sind und dann zu verinnerlichen bevor man sie anwendet. Zusätzlich muss man sich bewusst sein, dass nur langjähriges praktizieren wirklich effizientes Arbeiten ermöglicht. Ein Sprinter der einmal die 100m unter 10 Sekunden geschafft hat, muss auch konsequent weiter trainieren um dieses Level zu halten oder zu verbessern.
Die nächste Methode kommt bestimmt
Inzwischen ist es unbestritten, dass die einzige Konstante die Veränderung ist. Was sich jedoch zusätzlich geändert hat, ist die Geschwindigkeit mit der die Veränderung stattfindet. In den letzten Jahren, vor allem durch den technologischen Fortschritt getrieben, werden die Iterationsintervalle immer kürzer. Hat man eine Methode verinnerlicht, ist es jedenfalls leichter die Geschwindigkeit zu erhöhen. Sich eine neue Methode anzueignen und zugleich die Geschwindkeit zu erhöhen wird wahrscheinlich nicht erfolgreich enden.
Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die nächste neue Methode als DAS Mittel zum Zweck verkündet wird. Die Erfahrung zeigt, man muss nicht alles mitmachen. Erinnern Sie sich noch an Windows Vista? Ich glaube niemand bereut es heute diese Betriebssystemversion ausgelassen zu haben.